Der unerträgliche Standpunkt

Heinz Kobald

  
 
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Der aufgeklärte Mut
eines Deutschen Journalisten
Der Süden Beiruts nach Bombardierung durch die Israelische Luftwaffe, Foto:Reuters





Der Süden Beiruts nach Bombardierung durch die Israelische Luftwaffe,
Foto: Reuters


In der Einleitung wird der Leser in das Biblische "Es war einmal ... " zurück versetzt.
Zu dem so verkannten und doch stets so modern aufpolierten "Auge um Auge, Zahn um Zahn".
Worte, die immer dann ohne Überlegung gebraucht werden, um eine harte - aber gerechte ! - Vergeltung mit der Bibel im Rücken moralisch abzustützen.
Aber gleich danach pirscht er sich ganz nahe an das Völkerrecht heran und spricht eine überraschende Erkenntnis aus:

» ... auch wenn die US-Regierung völkerrechtlich
fast so jenseits von Gut und Böse agiert wie die israelische.«

Ob ich diesen Worten schon mein volles Vertrauen opfern darf?
Herr Heribert Prantl von der SZ stellt mich plötzlich und so ganz unerwartet vor diese Prüfung.

Doch es gibt die Fortsetzung:
Das Abzählen der eingeschlagenen Augen und der ausgeschlagenen Zähne bedürfe es nicht,
» ... um Israels Aggression im Libanon zu kritisieren,
die sich als Rekrutierungshilfe für die Hisbollah erweisen wird.«

Und schon saust dieser mutige Heribert mit uns auf Alberichs Spuren hinab in die Tiefenwirkung der Aggressions-Psychologie.
Nicht das Dürfen, sondern das Müssen wird zur Pflicht!
War nicht gerade noch selbst das Dürfen im Kampfring der Besonderen Vergangenheit so heftigen Gegenschlägen ausgesetzt?

Der Beklagenswerte ist weiterhin in das Herz zu schließen, aber ohne mit ihm im selben Chor in den selben Tönen vereint zu sein.

»Man darf, muss es beklagen,
dass Israel sich seine Feinde selbst züchtet und
zur Verewigung eines mörderischen Konflikts beiträgt.
Gegen islamistischen Fanatismus hilft israelische Selbstfanatisierung nicht.«

So weit dürfen - nein müssen - wir uns an die Schwäche der Seele unseres Freundes heranwagen?

Doch nicht nur seine Schwäche bedarf der Pflege, auch seiner Stärke muß wache Aufmerksamkeit begegnen.
Daß die Ausübung so manchen Rechtes nur innerhalb von genau bestimmten Grenzen erlaubt ist.

»Und das Recht auf Selbstverteidigung kann nicht dazu führen,
internationale Regeln wie den Schutz der Zivilbevölkerung
außer Kraft zu setzen . . . «

Auch wenn hier der Kommentator aus den Worten in Artikel 51 der UN-Charta die beiden Begriffe »Weltfrieden« und »Internationale Sicherheit« nicht herausschält, so werden doch mögliche Grenzen bei der Ausübung eines Rechtes deutlich. Und nicht zu vergessen, den Grund für dieses Recht, den »bewaffneten Angriff«!
Denn die Begriffsbestimmung des Auslösers geht auf jeden Fall der Abgrenzung vor.

Bei der Aufklärung der nächsten Forderung des Zentralrates der Juden Deutschlands oder seines Wunsches gerät mein Verstehen doch etwas aus dem Gleichgewicht.

»Solche Mahnung gehört zu der Solidarität mit Israel,
wie sie der Zentralrat der Juden in Deutschland fordert.«

Und in der zweiten Waagschale:
»Solidarität verlangt nicht ein "Ja und Amen" zu Israels Politik in toto,
wie das der Zentralrat gerne hätte, ( ... ) «

Wird hier eine Mahnung von mir gefordert - oder ist die Solidarität gewünscht ?
Oder gelingt es mir sogar, beides miteinander in Freundschaft zu vereinen?
Wahrlich eine knifflige Entscheidung, die ich da zu treffen angehalten werde.

Dem Mutigen Heribert gelingt sogar eine Spektral-Analyse der Solidarität.
Herr Shimon Stein ist gewiß ein fachlich bewährter Botschafts-Verkünder für die Interessen seines Landes, wenn auch erkannt kein sehr sachlicher.

»( ... ) und schon gar kein "Bravo",
wie es sich der israelische Botschafter in Deutschland erwartet.
Einen solchen Solidaritätszuschlag kann es nicht geben.«

Also dürfen wir seinen Aufforderungen unser Bravo nicht entgegenhymnen müssen.

Wie das gemacht wird? Zu dieser Besonderen Handlungsweise sind nur Bayern à Valentin befähigt.
Für alle diejenigen, die in anderen Denkschulen erzogen worden sind, genügt die einfache Ausführung im Dürfen.
Davon fühle ich mich nun doch schon sehr befreit. Befreiter fühlte ich mich aber, wenn ich genauer wüßte, warum ich den Solidaritätszuschlag nicht mehr nur mit einem einfachen Bravo zu begleichen hätte.

Selbst die Besondere Verpflichtung wird ausgelotet.

»Nicht nur die deutsche Geschichte verbietet eine Kritik,
die selbstgefällig, überheblich und diffamierend daherkommt.«

Selbstgefälligkeit, Überheblichkeit oder gar Diffamierung sind auch gar nicht notwendig.
Wer sich mit Kenntnis im Rahmen der gesetzlich bestimmten Ordnung bewegt, findet die Punkte, auf die er den Finger legen darf. Dabei kann der Finger-Legende auch selbst zu der Erkenntnis geführt werden, daß auch sein Handeln keineswegs so ohne Makel geblieben ist.
Doch einem Zitat aus dem Völkerrecht ist wohl schwerlich die Fußfessel des Antisemitismus anzulegen.

Und dann wird auch der Mutige sehr sehr traurig ob der Veränderung der Solidarität in den vergangenen vierzig Jahren. Als sich die Arabischen Armeen wieder auf das tapfere kleine Volk stürzten, um es in das Meer zu werfen.

»Von dieser Sympathie ist nicht viel übrig geblieben;
daran ist nicht allein Antisemitismus schuld.
Heute dominiert die pauschale Verurteilung Israels.«

Leider auch sehr sehr wahr.
Aber unsere Zionistischen Freunde verschließen sich dieser Erkenntnis und werfen uns die Greueltaten in der Generation unserer Väter vor die Füße. Was doch wiederum nichts anderes bedeuten soll als "kommt uns bitte nicht zu nahe mit euerer heutigen Moral"!
Pauschale Verurteilungen können niemals gerecht sein, das ist jedem Gerecht Denkenden ohnehin ein Grauen. Diesem Pauschalen mangelt es an jedem Einzel-Nachweis, doch führt gerade dieses Pauschale so gewiß den Beweis dafür an, daß sich eben der Pauschal-Urteilende in jeder Weise der Beschäftigung mit den Einzel-Vorgängen entzogen hat. Was ihn deswegen schon als Richtenden ausschließt.

Dann geht Herr Heribert Prantl zur Praktischen Anleitung über, die auf alle weise Theorie so zwingend zu folgen hat.

»Zur notwendigen Korrektur dieser Schieflage
tragen Forderungen nach bedingungsloser Solidarität mit Israel
nicht bei. Israel-Kritik ist geboten.«

Da wäre es noch sehr sehr hilfreich, die Momente genauer zu benennen, denen sich eine bedingungslose Solidarität aus grundgesetzlichen und völkerrechtlichen Verboten auch für wortfreudige oder sogar wortleichtsinnige Minister in unserer Regierung verweigern muß.

Das ist die so Not tuende Konstruktive Kritik an der Gelebten Solidarität mit Israel.
Sie ernährt sich nicht »von der Lautstärke der Kritik oder des Beifalls sondern vom europäischen und dem deutschen Beitrag zum Frieden in Palästina«.
Diese Gebrauchsanweisung steht schon im Artikel 1 unseres bedauernswert nur wenig gelesenen Manuals des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Dem vergessenen ( ? ) GG.

»Praktische Solidarität wäre es,
sich um einen Gefangenaustausch zu kümmern.«
( das ist Originaldruck )

Diese freudsche Druckleistung impliziert u.U. die Einsicht, daß der Austausch selbst in die Gefangenschaft der Ereignisse geraten sein könnte.

Wenden wir uns dem eigentlichen Ziel der Gefangennahme von drei Soldaten der IDF zu wird uns das Unmaß dieser Befreiungs-Bemühungen schnell wieder bewußt.
Haben die Frauen und Männer der Regierung in Jerusalem oder die Generalität der IDF keine Bedenken, mit den Bomben ihrer Kampfflugzeuge auch ihre eigenen Soldaten zu töten?
Wie soll »mit Panzern eine Stecknadel im Gaza gefunden« werden? ( Christiane Schlötzer, SZ, 30. Juni 2006 )
Mit ihnen sollte ein "Gefangen-en-austausch" zunächst mit Kindern und Frauen aus israelischen Gefängnissen vor sich gehen. Dort werden ca. 6.000 Palästinenser - in überwiegender Anzahl ohne rechtmäßige Verurteilung - schon seit vielen Jahren festgehaltenen.
Ihre erst genannte Zahl wollte nur den zwanzigsten Teil der insgesamt in Israel Festgehaltenen.
Doch die Antwort gaben Soldaten, Panzer und Bomben.

Wir reden so leichten Wortes von einem Zwei-Fronten-Krieg.
Und schauen nur gebannt auf den Libanon.
Doch was geschieht im Gaza?
Welches blindwütige Zerstören und Morden löscht dort jede Menschlichkeit aus?
Ist die dort von Israel eingesperrte Bevölkerung nicht dem Hunger nahe?

Ob zum Schluß dieser Erinnerung an das Auge für das Auge und den Zahn für den Zahn auch noch der Weg in eine jüngere Vergangenheit von unerfüllten Pflichten zurück führt?
In das Jahr 1967 zu einer UN-Resolution des Sicherheitsrates mit der kleineren Nummer 242 als der jetzt vielleicht doch verwirklichten 1559 von 2004?

Dann forderte unsere Klugheit eine wurzelnahe Einsicht.
Und Wurzelbehandlungen tun weh, sehr weh. Besonders an den Wurzeln von kaputten Zähnen. Und dann geht es an den Nerv.
Soll er in zukünftigen Zeiten noch ebensolche Schmerzen verursachen und an das Handlungs-Entscheidungs-Zentrum weiterleiten wie in den vergangenen Zeiten ?
Doch dabei müssen wir uns auf das Können eines guten, sehr guten Zahnarztes verlassen dürfen.
Und auf seine sehr sehr emphatische Assistentin.

Tut es noch weh ?


1 Av 5766 * 26. Juli 2006 © Heinz Kobald


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Quelle: Süddeutsche Zeitung, Nr. 168, Montag, den 24. Juli 2006, Seite 4
Auge um Auge, Zahn um Zahn
- Libanon, der Krieg, die Juden und die Deutschen:
Welche und wie viel Israel-Kritik ist erlaubt?
Von Heribert Prantl